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Berlinale 2023
– Ein Festival setzt Zeichen in Zeiten der Krise
73. Internationale Filmfestspiele Berlin 2023
– eine Bilanz von Peter Huth und Jürgen Prinz
Goldener Ehrenbär_Steven Spielberg mit Bono_copyright Richard Hübner_Berlinale 2023
Berlin. Mit der Vergabe des „Goldenen Bären“ an den französischen Wettbewerbsbeitrag Sur l’Adamant (On the Adamant) sind am 25. Februar die 73. Internationalen Filmfestspiele in Berlin zu Ende gegangen.
Am 16. Februar wurden im Berlinale Palast am Potsdamer Platz die 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Claudia Roth, die Regierende Bürgermeisterin von Berlin Franziska Giffey, die diesjährige Jurypräsidentin Kristen Stewart sowie die Berlinale-Leitung Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian glanzvoll eröffnet.
Am 16. Februar wurden im Berlinale Palast am Potsdamer Platz die 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Claudia Roth, die Regierende Bürgermeisterin von Berlin Franziska Giffey, die diesjährige Jurypräsidentin Kristen Stewart sowie die Berlinale-Leitung Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian glanzvoll eröffnet.
„Die Berlinale und alle ihre Filmemacher*innen und Teilnehmer*innen stehen solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, die für ihre Unabhängigkeit kämpfen, und verurteilen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aufs Schärfste. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei den Opfern, der leidenden Bevölkerung, den Millionen von
Menschen, die die Ukraine verlassen haben und den Künstler*innen, die geblieben sind, um ihr Land zu verteidigen und weiter den Krieg zu filmen. Es ist uns eine besondere Ehre, dass wir den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj per Videozuschaltung am Donnerstagabend bei unserer Festivaleröffnung begrüßen können“, sagt das Leitungsduo der Berlinale.
Nach einer kurzen Einführung auf der Bühne durch den Regisseur und Schauspieler Sean Penn erschien der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj via Live-Video-Zuschaltung auf der großen Leinwand.
Er erinnerte an den Film »Der Himmel über Berlin«. Regisseur Wim Wenders habe damit das Ende der deutschen Teilung vorweggenommen. Heute sei es Russland, das eine neue Mauer in der Ukraine errichte. Es sei eine Mauer zwischen der Freiheit und der Sklaverei. Die Kunst könne nicht indifferent bleiben, denn in der Stille werde die »Stimme des Bösen nur lauter und überzeugender«, sagte Selenskyj. Seine Rede schien viele im Publikum zu rühren. Und sie deutete an, vor welcher schwierigen Aufgabe die Berlinale steht. Wie bringt man sie zusammen, die Krisen dieser Welt und die schönen Bilder, die von der Werbemaschinerie der Filmbranche produziert werden? Mit Selenskyjs Worten: »Kann sich die Kunst aus der Politik heraushalten?«
Kulturstaatsministerin Claudia Roth erinnerte daran, dass die Berlinale immer auch ein politisches Festival gewesen sei. In diesem Jahr wird besonders auf die Krisen dieser Welt geschaut. Nicht nur für Selenskyj gab es am Eröffnungsabend viel Beifall, sondern auch für die Schauspielerin und Jury-Mitglied Golshifteh Farahani. Sie erinnerte an die Menschen in Iran, die Unterstützung bräuchten. »Wir brauchen Sie alle!« Mehrere Frauen, darunter die Schauspielerin Jasmin Tabatabai, hielten auf dem Roten Teppich ein weißes Banner hoch, auf dem der Spruch „Woman Life Freedom“ stand.
Solidarität mit der Ukraine_© Sandra Weller_Berlinale 2023
„Wir freuen uns sehr darüber, dass die Säle voll sind, dass die Zuschauer*innen Kino wieder gemeinsam erleben können und das Festival wieder Ort für spannende Erlebnisse, inspirierende Begegnungen und lebhaften Austausch ist“, sagt das Berlinale-Leitungsduo Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian.
Zahlen und Daten:
Das Interesse war überwältigend: Rund 20.000 Akkreditierte, darunter 2.800 Medienvertreter*innen, aus 132 Ländern kamen nach Berlin, 320.000 Tickets wurden an das Publikum verkauft. Damit knüpfen die Internationalen Filmfestspiele Berlin an die Zuschauer*innenzahlen vor der Pandemie an. Aus insgesamt 7431 Einreichungen wurden 287 Filme aus 69 Ländern ausgewählt, darunter 60 Dokumentarfilme. Im Wettbewerb konkurrierten dabei 19 Filme um den Goldenen und die Silbernen Bären. Mit vier deutschen und einem deutsch co-produzierten Beitrag, war der deutsche Film in diesem Jahr ungewöhnlich stark vertreten. In einem europäisch dominierten Bären-Wettbewerb waren weitere Produktionen aus Australien, China, Kanada, USA, Japan und Mexiko zu sehen. Neben dem Wettbewerb präsentierte die Berlinale in 12 weiteren Sektionen eine große Auswahl an weiteren Filmen mit thematischen Schwerpunkten. Parallel zum Festival hatten sich in Berlin auf dem European Film Market (EFM) darüber hinaus 519 Aussteller*innen aus 59 Ländern eingefunden um ihre Produkte zu vermarkten.
Die Mitglieder der Internationale Jury 2023:
Kristen Stewart (USA), Schauspielerin und Jurypräsidentin
Golshifteh Farahani (Iran / Frankreich), Schauspielerin
Valeska Grisebach (Deutschland), Regisseurin
Radu Jude (Rumänien), Regisseur
Carla Simon (Spanien), Regisseurin
Francine Maisler (USA), Casting Director
Johnnie To (Hongkong, China), Regisseur und Produzent
Goldener Bär Nicolas Philibert, © Alexander Janetzko
DER GOLDENE BÄR: In einem Wettbewerb mit bemerkenswert vielen starken Filmen, haben einige der besten Filme verdiente Preise gewonnen. Mit dem goldenen Bären für Philiberts „On the Adamant“ zeichnete die Jury den einzigen Dokumentarfilm im Wettbewerbs aus – eine doch sehr überraschende Entscheidung. In einer psychosozialen Tageseinrichtung auf einem fest verankerten Schiff, der Adamant, auf der Seine in Paris werden Menschen mit psychischen Problemen und Auffälligkeiten in Interaktionen gezeigt und erzählen aus ihrem Leben. Die Gäste entpuppen sich als wahre Künstler. Ihre Kreativität macht sie zu Menschen im eigentlichen Sinn. Manches davon ist bewegend, anderes erhellend, einiges redundant. Eine zweite Ebene oder eine Idee für eine über das reine Beobachten hinausgehende künstlerische Präsentation gibt es nicht. Einige Aufnahmen des Wassers und des Schiffs von außen etablieren den Ort – was aber drinnen zu sehen ist, hätte genauso gut in einer Tageseinrichtung an jedem anderen Ort passieren können. Ein unspektakulärer Film, der sein zweifellos wichtiges Thema in den Vordergrund rückt, aber keine formalen und künstlerischen Akzente setzt.
SILBERNER BÄR „Beste Schauspielerin“: Sofía Otero schreibt Berlinale-Geschichte. Mit ihren acht Jahren ist die Spanierin die bisher jüngste Preisträgerin der Filmfestspiele. In dem spanischen Wettbewerbsfilm „20.000 Species of Bees“ der Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren spielt sie ein Kind auf Namenssuche. In seinem Pass steht Aitor, der Spitzname ist Cocó, doch beides fühlt sich falsch an. Genauso falsch, wie sich die Haare kurz schneiden zu lassen, Hemden zu tragen oder im Stehen zu pinkeln. Schnell wird klar: Dieser langhaarige Junge wäre wahrscheinlich lieber ein Mädchen. Der warmherzige Debütfilm der baskischen Regisseurin bringt einen neuen
Silberner Bär Sophia Otero, © Alexander Janetzko
Blickwinkel auf das durchaus kontrovers diskutierte Thema der Geschlechteridentität. Die einfühlsam und komplex erzählte Familiengeschichte findet Bilder und Allegorien für die Vielfalt menschlichen Daseins. 20.000 Especies de Abejas“ ist spannendes Coming of Age-Kino über ein junges Transkind aus dem Baskenland – mit einer herausragenden Sofía Otero in einem Darstellerensemble, das lange in Erinnerung bleibt. Ein verdienter SILBERNER BÄR für die „Beste Darstellerin“.
Die deutschen Filme im Wettbewerb !
Mit insgesamt 5 Produktionen im Wettbewerb, war der deutsche Film auf der diesjährigen Berlinale ungewöhnlich stark vertreten. Zwei der filmischen Beiträge konnten besonders gefallen.
ROTER HIMMEL von Christian Petzold:
Silberner Bär „Großer Preis der Jury“
Als der Große Preis der Jury für Christian Petzolds Sommer-Tragikomödie „Roter Himmel“ verkündet wird, jubelt der Saal: Berlinale-Silber für einen Berliner Filmschaffenden. Mit großer Eleganz und Präzision erzählt dieser Film eine scheinbare Alltagsituation, die uns auf eine Reise voller Überraschungen führt. Von Komödie zur Tragödie, lakonischem Humor zu reinem Drama, aber sie entlässt uns am Ende auch wieder in Freiheit und Hoffnung. Eigentlich wollten Leon und Felix den Sommer im Ferienhaus an der Ostsee zu zweit verbringen. Als Freunde und vor allem arbeitend; der eine an seinem zweiten Buch, der andere künstlerisch kreativ. Aber sie sind nicht allein. Nadja und Devid sind auch da und bringen jede Menge positive Vibes mit. Vier junge Menschen beim Sich-Lieben, auch wenn das besonders Leon nicht ganz leicht fällt. Sein unvollendetes Manuskript verfolgt ihn auf Schritt und Tritt, in die Gartenlaube und an den Strand. Die gute Stimmung der anderen lässt seine eigene meist noch schlechter werden. Als der Besuch des Verlegers naht, beginnt der Wald zu lodern. Es regnet Asche, der Himmel färbt sich rot und das Beziehungsdrama nimmt eine Wende in
Silberner Bär Christian Petzold, © Alexander Janetzko
eine neue Dimension. Christian Petzolds zweiter Teil einer Trilogie, die er 2020 mit Undine begann, handelt vom Nicht-schlafen-Können und Liebenwollen, vom Schreiben und Gelesenwerden, vom In-der-Welt-Sein und doch An-ihr-vorbei-Leben. ‚Roter Himmel‘ erzählt bildstark und emotional ergreifend die Geschichten junger Menschen zwischen Unbeschwertheit und einer nahenden Gefahr. Ein Film im Schwebezustand zwischen Symbolik und Realistik, komisch und zutiefst tragisch. Ein großartiger Film, ein verdienter „Silberner Bär“ !
INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE von Margarete von Trotta:
Nach vierzig Jahren ist Margarethe von Trotta endlich wieder im Berlinale-Wettbewerb vertreten. Ihr Film erzählt von der Unmöglichkeit der Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Sie ist Österreicherin, er Schweizer, sie Lyrikerin, er Dramatiker, sie draufgängerisch und verwundbar, er verwegen und ein wenig Biedermann: Ingeborg Bachmann und Max Frisch sind bereits so etwas wie internationale Stars der Kulturszene, als sie sich im Sommer 1958 in Paris erstmals begegnen. Die vier Jahre danach versuchen sie sich in großer Liebe und offener Beziehung zwischen Zürich, seiner Heimatstadt, und Rom, ihrer Wahlheimat. Frisch neidet ihr den Ruhm; Bachmann nervt sein Schreibmaschinengeratter und seine Eifersucht sowieso. Sie ist emanzipiert, frei, mobil, produktiv; in Berlin schreibt sie die berühmte Rede „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“. Dass und vor allem wie sehr sie leidet, erkennt sie erst hinterher, mit Adolf Opel in der Wüste, bei Hans Werner Henze in Italien. Margarete vn Trotta verwebt die Zeiten des Vor- und Nach-der-Katastrophe. Sie inszeniert direkt, nüchtern und elegant. Ronald Zehrfeld als korpulenter Pfeifenraucher und Vicky Krieps verkörpern kongenial die beiden Stars der Literaturszene. Nicht vom fatalen Ende Bachmanns handelt dieser Film, sondern von ihrem Hoffen auf Liebe und Respekt, in der Literatur wie im Leben.
Highlight im Wettbewerb: TÓTEM von Lila Avilés
Ein weiteres Highlight der diesjährigen Berlinale kommt aus Mexiko. Schauplatz ist ein großes Haus voller Liebe und Leben, in dem Familie und Freund*innen ein zweifaches Ritual begehen: Der Maler und junge Vater Tona hat Geburtstag, und da es wohl sein letzter ist, wird zugleich Abschied gefeiert. Entsprechend hat auch der Film zwei Seelen: Hinter der Hektik und Spontaneität beim Vorbereiten und Feiern tut sich jene archaisch-spirituelle Tiefendimension auf, die im Titel anklingt. Tonas geschwächter Körper bleibt zunächst unsichtbar. Im schützenden Zimmer sammelt er Kraft für die Zeremonie, bei der er die ganze Liebe und Zuneigung erfährt, die er für seine letzte Reise braucht. So sorgsam wie der Patriarch und Großvater seine geliebten Bonsaibäumchen, gestaltet die Regisseurin ihre filmische Miniatur, hilft Handlungslinien und Gefühlen auf den richtigen Weg, schneidet Nebensächliches und Überflüssiges weg. Der Film bereitet den Weggang eines Menschen vor, ist aber voller Lebenszeichen und -formen: Tiere, Insekten, Pflanzen und ein Defilee wunderbarer Menschen, vereint in der Kraft des Miteinanders.
Lila Avilés‘ herzerwärmender Wettbewerbsfilm „Tótem“ ist frei von Kitsch, liebevoll beobachtet und durch und durch lebensbejahend. Schade, dass die Internationale Jury diesen wunderbaren Film nicht mit einem „Bären“ belohnte. Mit dem großen Preis der unabhängigen „ökumenischen Jury“ erhielt er dann doch noch die verdiente Anerkennung.
Sehenswert – Ausser Konkurrenz !
DIE KLASSENLEHRERIN von İlker Çatak: Carla Nowak, eine engagierte Sport- und Mathematiklehrerin, tritt ihre erste Stelle an einem Gymnasium an. Im neuen Kollegium fällt sie durch ihren Idealismus auf. Als es an der Schule zu einer Reihe von Diebstählen kommt und einer ihrer Schüler verdächtigt wird, beschließt sie, der Sache eigenständig auf den Grund zu gehen. Zwischen empörten Eltern, rechthaberischen Kollegen und angriffslustigen Schülern versucht Carla zu vermitteln, wird dabei jedoch schonungslos mit den Strukturen des Systems Schule konfrontiert. Je verzweifelter sie sich bemüht, alles richtig zu machen, desto mehr droht die junge Lehrerin daran zu zerbrechen. Mit DAS LEHRERZIMMER gelingt dem preisgekrönten Regisseur Ilker Çatak (ES GILT DAS GESPROCHENE WORT) ein elektrisierendes Werk über den Mikrokosmos Schule als Spiegel unserer Gesellschaft. Shooting Star Leonie Benesch (DER SCHWARM, DAS WEISSE BAND) kreiert durch ihre fesselnde Darstellung einer jungen Pädagogin, die mehr und mehr zwischen die Fronten gerät, eine dichte Atmosphäre, die von Anfang an in den Bann zieht. Anhand ihrer Geschichte hinterfragt der Film auf kritische Weise unsere aktuelle Debattenkultur und entfacht eine grundlegende Diskussion rund um Wahrheit und Gerechtigkeit. Kamerafrau Judith Kaufmann (CORSAGE) sorgt für eine fesselnde Bildgestaltung. Dieser Film hätte dem Wettbewerb gut getan, er lief aber nur in der Panorama Nebensektion.
SOLIDARITÄT MIT DER UKRAINE UND DEM IRAN:
Die Berlinale verurteilt den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf das Schärfste und solidarisiert sich mit den Menschen in der Ukraine und allen, die sich gegen diesen Krieg einsetzen. Die Solidarität gilt auch den mutigen Protestierenden im Iran, die sich gegen ein brutales undemokratisches Regime zur Wehr setzen. Dies spiegelte sich auch als Schwerpunkt in der Filmauswahl wieder. Exemplarisch hierfür steht wie kein anderer der folgende Film:
SUPERPOWER: Sean Penn porträtiert
Wolodymyr Selenskyi
Wohl einer der politischsten Filme des Festivals hat bei der diesjährigen Berlinale seine Weltpremiere gefeiert: Die Dokumentation „Superpower“ – von Hollywood-Star Sean Penn und Aaron Kaufman.
Als die beiden Regisseure Anfang 2021 mit den Dreharbeiten zu Superpower begannen, schien eine großflächige Invasion der Ukraine durch Wladimir Putin eine ferne Bedrohung. Penn und Kaufman reisten in die Ukraine, um mehr über Wolodymyr Selenskyj zu erfahren. Der Schauspieler und Komiker,
Sean Penn, © Alexander Janetzko
der im Fernsehen einen Präsidentschaftskandidaten spielte und dann tatsächlich Präsident wurde, war in den USA zu diesem Zeitpunkt vor allem deswegen bekannt, weil er sich 2019 in der Ukraine-Affäre nicht vom US-Präsidenten unter Druck setzen ließ. Der Skandal führte zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump, das mit einem Freispruch endete. Am 24. Februar 2022, während Penn und Kaufman in Kyiv drehten, überrennt Putin die Welt mit der Invasion der Ukraine. Explosionen erschüttern die Stadt. Unversehens werden die Regisseure Augenzeugen dieses Kampfes David gegen Goliath. Das erste von mehreren Interviews mit Selenskyj führt Penn in der Nacht der Invasion. Tief betroffen von dem, was er in Kyiv und auf einer Fahrt an die Grenze mit seinem Filmteam erlebt, wird er zum inoffiziellen Botschafter für die Ukraine und ihren untypischen Staatschef. Entstanden ist eine Echtzeitreportage über den Kriegsbeginn – und eine Liebeserklärung an die Ukraine und ihren Präsidenten.
Verbeugung vor einer Legende !
JOAN BAEZ I AM ANOISE von Karen O’Connor, Miri Navasky und Maeve O’Boyle:
Als Musikerin, Bürgerrechtlerin und Aktivistin stand Joan Baez seit ihrem Debüt im Alter von 18 über 60 Jahre auf der Bühne. Für die inzwischen 82-Jährige war das Persönliche immer schon politisch, die Freundschaft zu Martin Luther King und der Pazifismus prägten ihr Engagement. Ausgehend von ihrer Abschiedstour zieht Baez in dieser Biografie eine schonungslose Bilanz, in der sie sich auch schmerzhaften Erinnerungen stellt. In der beein-druckenden Dokumentation der Regisseurinnen
Joan Baez, © Ronny Heine
Karen O’Connor, Miri Navasky und Maeve O’Boyle teilt sie nicht nur ihre Erfolge, sondern spricht offen über langjährige psychische Probleme und Therapien, über Familie, Drogen, das Altern und Fragen von Schuld und Vergebung. Und sie stellt auch klar, dass sie während ihrer Beziehung mit dem sehr jungen Bob Dylan ihre Prominenz nutzte, um seine Karriere in Gang zu bringen. Ihre Enttäuschung über die spätere Entfremdung von Dylan wird greifbar. Der Film verwebt eine Fülle von teils ungezeigtem Archivmaterial mit Backstage-Momenten ihrer Farewell-Abschiedstour. Erstmals zeigt sie ihre Tagebuchaufzeichnungen. Tonbänder geben Einblick in ihre Therapiestunden. Ein Film wie ein Befreiungsschlag.
GLANZ UND GLAMOUR:
Publikumswirksame Filme mit Staraufgebot – auch das braucht ein gelungenes Festival. Waren genug
Stars da? Das kann man in diesem Jahr eindeutig mit Ja beantworten. Neben Jury-Präsidentin Kristen Stewart und Ehrenbär-Preisträger Steven Spielberg war viel weitere Filmprominenz zu Gast. Cate Blanchet, John Malkovich, Helen Mirren, Anne Hathaway, Adrian Brody, Peter Dinklage, Sean Penn, U2 oder auch Boris Becker. Das Konzept der Sektion Berlinale Special ist in diesem Jahr so gut aufgegangen wie schon lange nicht mehr. Publikumswirksame Filme zu zeigen, die sich nicht dem Wettbewerb stellen wollen oder müssen, dafür aber internationalen Startrubel in die Stadt bringen.
DER HÖHEPUNKT: Goldener Ehrenbär für Steven Spielberg !
Sicher einer der bewegendsten Momente der Berlinale war die Verleihung des Ehrenbären für sein Lebenswerk an Steven Spielberg. Minutenlange stehende Ovationen des Publikums für den erfolgreichsten Regisseur Hollywoods. Mit mehr als 100 Filmen und Serien ist sein umfassendes Schaffen in der internationalen Filmgeschichte der zurückliegenden 60 Jahre in seiner Vielfalt einzigartig. Der mittlerweile 76-jährige hat Kinomomente erschaffen, die seine Zuschauer*Innen durch Kinderaugen schauen lassen. Immer wieder waren es persönliche Erfahrungen – die Scheidung seiner Eltern, Antisemitismus und Ängste, die Spielberg in seinen Filmen verarbeitete. Werke mit atemberaubender Unterhaltung, aber auch mit Tiefgang. Der Meisterregisseur, der schon fast alle Preise gewonnen hat, sagte, er sei auf diesen Preis besonders stolz. Dass er in Berlin geehrt werde, auf einem der renommiertesten Festivals der Geschichte, sei ein unglaublicher Höhepunkt seines Lebens. Ich muss wohl ein paar Dinge richtig gemacht haben die letzten 55 Jahre. Die Filmfestspiele widmeten seinem Lebenswerk eine ausführliche Hommage mit der Wiederaufführung einer Auswahl seiner großen Klassiker wie E.T. – Der Außerirdische, Jaws – Der Weiße Hai, Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes und nicht zuletzt seinem wohl größten und wichtigstem Film Schindlers Liste. Darüberhinaus wurde im Rahmen der Preisverleihung sein jüngstes Werk „The Fabelmans“ im Berlinale-Palast gezeigt. Dieser wunderbare autobiografische Film über seine Jugendjahre wird bereits am 09. März 2023 in den deutschen Kinos anlaufen.
AUSBLICK: Wie soll sie nun aussehen, die Zukunft der Berlinale?
Eine konkrete Antwort fällt schwer, schon wegen der widersprüchlichen Bilanz. Das Leitungs-Duo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian kann sich bei ihrer ersten „normalen“ Festivalausgabe (nach dem Start im Jubiläums- und Reformjahr 2020 und den beiden Corona-Jahren) einerseits über rappelvolle Kinos und reichlich Starpower freuen (dank einer geschickt programmierten Special-Reihe). Andererseits fällt das Medienecho auf den filmischen Wettbewerb und die Bären-Vergabe eher kritisch aus. Gut, dass die drei Finanzsäulen – Bund, Eigeneinahmen und Sponsoring – stabil bleiben und den Fortbestand des Festivals sichern. Die Berlinale wird mit ihrer politischen Ausrichtung als großes A-Festival neben Cannes und Venedig aktuell mehr denn je gebraucht.
Alle Preise der Internationalen Jury im Überblick :
GOLDENER BÄR FÜR DEN BESTEN FILM (an die Produzenten)
Sur l’Adamant (On the Adamant)
von Nicolas Philibert produziert von Céline Loiseau, Gilles Sacuto, Miléna Poylo
SILBERNER BÄR GROSSER PREIS DER JURY
Roter Himmel (Afire) von Christian Petzold
SILBERNER BÄR PREIS DER JURY
Mal Viver (Bad Living) von von João Canijo
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE REGIE
Philippe Garrel für Le grand chariot (The Plough)
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE SCHAUSPIELERISCHE LEISTUNG IN EINER HAUPTROLLE
Sofía Otero in 20.000 especies de abejas (20,000 Species of Bees) von Estibaliz Urresola Solaguren
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE SCHAUSPIELERISCHE LEISTUNG IN EINER NEBENROLLE
Thea Ehre in Bis ans Ende der Nacht (Till the End of the Night) von Christoph Hochhäusler
SILBENER BÄR FÜR DAS BESTE DREHBUCH
Angela Schanelec für Music von Angela Schanelec
SILBERNER BÄR FÜR EINE HERAUSRAGENDE KÜNSTLERISCHE LEISTUNG
Hélène Louvart für die Kamera in Disco Boy von Giacomo Abbruzzese
Weitere Infos unter www.berlinale.de